Erklärung

Es gibt verschiedene Arten von Essstörungen. So vielfältig die Symptome auch sein können, immer hat der Bereich Essen und Körpergewicht eine große Bedeutung für die Betroffenen. Diese essen entweder nur noch sehr eingeschränkt oder leiden unter Heißhungerattacken (oft auch beides zusammen). Da die Betroffenen große Angst vor Gewichtszunahme haben, versuchen sie häufig, Essanfälle durch "Gegenmaßnahmen" wie Erbrechen oder übermäßiges Sporttreiben auszugleichen.

Der (mehrmals) tägliche Gang zur Waage, die Ziffer, die auf dem Display erscheint, das enge oder lockere Sitzen der Lieblingsjeans, die im Kopf überschlagenen konsumierten Kalorien am heutigen Tag: Das alles sind Faktoren, die darüber entscheiden, ob der heutige Tag ein "guter" oder ein "schlechter" ist. Das Sich-"Versagen" bestimmter Speisen aus Angst vor Gewichtszunahme, das Gefühl von Kontrolle und Beherrschung des eigenen Körpers, aber auch das Erleben von
Essattacken mit dem Gefühl des Kontrollverlustes und der drängende Wunsch, die Essattacke durch z.B. Erbrechen rückgängig zu machen. Dies alles sind Symptome, die typisch für Menschen sind, die an einer Essstörung leiden.

Inwieweit sind die Symptome noch "normal"?

Wahrscheinlich kennen Sie in Ihrem sozialen Umfeld einige Personen, die einzelne Symptome eines gestörten Essverhaltens zeigen. Das ist in unserer Gesellschaft häufig der Fall. Gerade Frauen und Mädchen sehen sich unvermeidbar mit dem Ideal einer schlanken, sportlichen und leistungsbereiten Frau konfrontiert. Aber auch immer mehr Jugen und Männer sehen sich dem Druck ausgesetzt, einem bestimmten Bild zu enstprechen. Auch Werbung für Diätprodukte ist allgegenwärtig. Essen hat damit in einer Vielzahl der Fälle seine Natürlichkeit verloren, Nahrungsmittel werden oft weniger nach Hunger, Sättigung und Genuss ausgewählt, vielmehr nach dem Kaloriengehalt und der Zahl auf der Waage am Morgen. Natürlich leiden nicht alle Menschen, die Aspekte eines gestörten Essverhaltens zeigen, gleich an einer Essstörung. Im nächsten Abschnitt wird genauer beschrieben, welche Essstörungen unterschieden werden und was genau eine Essstörung ausmacht.

Welche Essstörungen werden unterschieden?

Essstörungen sind so individuell wie die Menschen, die unter ihnen leiden. Trotzdem lassen sich verschiedene Untergruppen von Essstörungen zusammenfassen. In diesem Bereich des Portals werden die Störungsbilder der Anorexie (Magersucht), der Bulimie (Ess-Brechsucht) und der Binge Eating-Störung (Essattacken ohne Gegenregulation) dargestellt.
Um eine eindeutige Diagnose zu treffen, muss ein*e Therapeut*in eine umfassende Diagnostik machen. Hierzu können neben speziellen Fragen zu den Symptomen auch noch verschiedene Fragebögen gehören.
→ Je detaillierter die Diagnostik, desto differenzierter und erfolgversprechender die spätere Behandlung!

Was ist typisch für Essstörungen?

Charakteristisch ist, dass Essen und Körpergewicht eine immense Bedeutung für die Betroffene haben. So hängen z.B. Stimmung, Selbstwert und Selbstbild oder der Umgang mit Gefühlen bei Patient*innen mit einer Essstörung stark davon ab, ob viel oder wenig gegessen wurde oder ob an Gewicht zu- oder abgenommen wurde. Die Symptome treten dabei auf verschiedenen Ebenen auf und zeigen sich in Gedanken, Gefühlen, körperlichen Folgen und im Verhalten.
In dem folgenden Abschnitt sind typische Symptome auf den verschiedenen Ebenen dargestellt. Weiter unten sind dann die spezifischen Symptome und Unterscheidungsmerkmale der verschiedenen Essstörungen (Anorexie, Bulimie, Binge Eating-Störung) beschrieben.

Typische Gedanken
- "Wenn ich das esse, werde ich zunehmen."
- "Ich (meine Oberschenkel, Hüften…) bin/sind zu dick."
- "Nur wenn ich schlank bin, bin ich ein wertvoller Mensch."
- "Wenn ich dünner bin, wird alles leichter."
- Gedankliche Beschäftigung mit Nahrungsmitteln, Rezepten…

Typische körperliche Folgen
- Kälteempfindlichkeit
- Erschöpfung
- Elektrolytstörungen (z.B. Kaliummangel)
- Langsamerer Herzschlag, Herzinsuffizienz
- Ödeme
- Stoffwechselveränderungen
- Brüchige Nägel und Haare
- Ausbleiben der Regelblutung
- Verlust des sexuellen Verlangens
- Fruchtbarkeitsprobleme
- Schädigungen der Speiseröhre
- Zahnschäden
- Feine Härchen

Typische Gefühle
- Angst (v.a. Angst vor Gewichtszunahme und vor Kontrollverlust)
- Scham/Ärger/Wut/Ekel (nach einer Heißhungerattacke)
- Traurigkeit
- Innere Leere
- Diffuse Gefühle und hohe Anspannung

Typisches Verhalten
- Hungern und Vermeiden bestimmter Nahrungsmittel
- Rigides, exzentrisches Essverhalten und -regeln
- Heißhungeranfälle
- Horten von Nahrungsmitteln
- Erbrechen
- Übermäßiges Sporttreiben
- Missbrauch von Abführmitteln, Appetitsenkern, Entwässerungsmitteln
- Körperliches Kontrollverhalten (häufiges Wiegen, Abmessen..)
- Körperliches Vermeidungsverhalten
- Sozialer Rückzug
- Absagen von Aktivitäten
- Vermeiden, in der Öffentlichkeit zu essen
- Bagatellisieren der Störung, "Täuschungsmanöver"

Was ist typisch für eine Anorexie (Magersucht)?

Menschen, die an einer Anorexie leiden, fallen zunächst durch ihr sehr niedriges Körpergewicht auf (mindestens 15% unter dem medizinischen Normalgewicht, BMI < 17,5). Dieses Untergewicht wird durch eine sehr eingeschränkte Nahrungsaufnahme selbst herbeigeführt. Oft werden bestimmte Typen von Nahrungsmitteln (z.B. fettreiche Nahrungsmittel, Süßigkeiten) ganz vermieden. Die Betroffenen haben eine starke Angst vor Gewichtszunahme und befürchten, zu dick zu werden. Oft legen sie für sich selber eine sehr niedrige Gewichtsschwelle fest, die sie nicht überschreiten wollen.

Trotz des deutlichen Untergewichtes erleben sich die Betroffenen weiterhin als zu dick bzw. als normalgewichtig, was auf eine Störung der Körperwahrnehmung (Körperschemastörung) hindeutet. Das starke Untergewicht führt zu umfassenden Hormonstörungen und anderen medizinischen Begleiterscheinungen. Dies können u.a. das Ausbleiben der Regelblutung (Amenorrhoe), der Verlust des sexuellen Verlangens und Potenzverlust, feine Härchenbildung am gesamten Körper, Vitamin- und Mineralstoffmangel, Herabsetzung der Herzfrequenz und der Körpertemperatur (als Folge häufiges Frieren), die Bildung von Ödemen, trockene Haut und Haarausfall sein. Als Spätfolgen können Probleme der Fruchtbarkeit und Osteoporose auftreten.

Es werden innerhalb der Anorexie zwei Unterformen unterschieden:

Die bekanntere Form der Anorexie ist der " restriktive Form der Anorexie". Hier erlangen die Betroffenen ihr deutliches Untergewicht durch ihr übermäßig kontrolliertes, eingeschränktes Essverhalten.

Betroffene der "bulimischen Form der Anorexie" setzen zusätzlich "aktive" Maßnahmen der Gewichtskontrolle ein (z.B. Erbrechen, Nutzung von Abführmitteln, exzessives Sporttreiben etc.). Mitunter leiden diese Betroffenen auch wie an Bulimie erkrankte Patient*innen an Heißhungerattacken.

Was ist typisch für eine Bulimie (Ess-Brechsucht)?

Menschen, die an einer Bulimie erkrankt sind, leiden an wiederholten Heißhungerattacken (Essanfällen). In diesen Heißhungerattacken werden in kurzer Zeit große Nahrungsmengen konsumiert. Meist entsteht hierbei ein Gefühl des Kontrollverlustes. Oft werden während der Heißhungeranfälle diejenigen Nahrungsmittel gegessen, welche sonst vermieden werden (z.B. fettreiche Speisen, Süßigkeiten). Der Kontrollverlust beim Essen führt dazu, dass bis zu einem unangenehmen Völlegefühl gegessen wird, dass durcheinander gegessen wird – häufig direkt aus der Packung oder noch vor dem Kühlschrank.

Patient*innen mit Bulimie erleben einen starken, fast unwiderstehlichen Drang zu essen und beschäftigen sich gedanklich nahezu ununterbrochen mit dem Essen. Als Folge der Essattacken befürchten die Betroffnen, an Gewicht zuzunehmen.
Aufgrund dieser Angst wird versucht, einer möglichen Gewichtszunahme entgegenzuwirken und "gegenzuregulieren". Sehr häufig wird die Nahrung im Anschluss an eine Essattacke erbrochen, aber auch Abführmittel, Appetitzügler, Schilddrüsenpräparate, und Entwässerungsmittel werden eingesetzt. Oft wird exzessiv Sport getrieben und zwischen den Essattacken werden Hungerperioden eingelegt. Auch Patient*innen mit Bulimie erleben sich als zu dick (trotz ihres Normal- oder sogar Untergewichtes), oder leben in der ständigen Angst, zu dick werden zu können.

Medizinische Folgestörungen der Bulimie sind z.B. Verletzungen und Entzündungen des Rachenraumes und der Speiseröhre, Zahnschäden, Schwellung der Ohrspeicheldrüsen, Störungen des Elektrolythaushaltes (dadurch Herzrhythmus- und Nierenfunktionsstörungen), Schädigungen des Magen-Darm-Traktes, schuppige, trockene Haut und Haarausfall.

Was ist typisch für eine Binge Eating-Störung?

Ähnlich wie bei an einer Bulimie erkrankten Menschen leiden auch Patient*innen mit einer Binge Eating-Störung an wiederholten Essattacken. Auch hier wird in den Essattacken in einem bestimmten Zeitraum eine übermäßig große Nahrungsmenge konsumiert, auch hier findet ein Kontrollverlust über die Auswahl und Menge der Nahrung statt. In den Heißhungerattacken wird schneller gegessen als gewöhnlich, und es wird auch dann bis zu einem unangenehmen Völlegefühl weitergegessen, wenn kein Hunger mehr spürbar ist. Meist wird alleine gegessen und das Essen in Gesellschaft vermieden.

Im Unterschied zu Patient*innen mit einer Bulimie setzen die Betroffenen hier jedoch keine Gegenregulation (wie Erbrechen, Abführmittel, Hungern und exzessives Sporttreiben, s.o.) (zumindest nicht regelmäßig). Das führt dazu, dass die Betroffenen häufig übergewichtig sind. Aktuell ist die Binge Eating-Störung (trotz steigender Anzahl an Betroffenen) noch nicht in dem in Deutschland verwendeten internationalen Klassifikationssystem der psychischen Störungen als eigenständige Störung aufgeführt.