Behandung

Die Behandlung einer Zwangsstörung berücksichtigt die Faktoren, die dazu beigetragen haben, dass die Störung entstanden ist und aufrechterhalten wurde. Zunächst werden gemeinsam mit dem*r Therapeut*in Ziele für die Behandlung erarbeitet und die Zwänge sehr konkret beobachtet. Dann lernen Betroffene, sich den Situationen, die normalerweise die Zwänge ausgelöst haben, zu stellen und – anstelle der Zwänge – andere Wege zu finden, mit den aufkommenden Gefühlen umzugehen.

Der Ablauf ist also grob der folgende:

  • Individuelle Faktoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Zwangsstörung erarbeiten
  • Ziele festlegen: Was möchte ich in der Therapie erreichen?
  • Zwänge durch Selbstbeobachtungen analysieren
  • Konfrontationen mit den zwangsauslösenden Situationen
  • Arbeit an den Hintergründen der Störung

Die Therapie wird zwei Behandlungsstränge verfolgen: zum einen die Arbeit am Symptom der Zwänge selber, zum anderen die Therapie am Symptomhintergrund.


Wie läuft die Behandlung einer Zwangsstörung konkret ab?

  1. Zunächst wird gemeinsam mit dem*r Therapeut*in herausgearbeitet, welche Faktoren bei zur Entstehung der Zwänge beigetragen haben und welche Faktoren sie aufrechterhalten. Dieses individuelle "Erklärungmodell" ist dann die Basis, um hieraus sowohl Ziele für die Arbeit an der Zwangsstörung selber als auch Ziele bezogen auf den Hintergrund der Störung abzuleiten.
  2. Zu Beginn wird wahrscheinlich die direkte Arbeit an der Zwangssymptomatik selber (dem "Symptom") im Vordergrund stehen. Dies ist entscheidend, um dem oben beschriebenen Teufelskreis und einer weiteren Ausweitung der Zwangssymptomatik entgegen zu wirken und die Zwangssymptomatik schrittweise zu reduzieren. Es werden klare Therapieziele hinsichtlich der Zwangssymptomatik formuliert und diese Ziele schrittweise erarbeitet. Hierzu gehören genaue Selbstbeobachtungen des Zwangsverhaltens, indem die Zwänge protokolliert und die Situationen, in denen die Zwänge auftreten, genau analysiert werden. Dieses Vorgehen zeigt den Betroffenen, unter welchen Bedingungen die Zwänge in welcher Stärke auftreten. Auch wird mit dem*r Therapeut*in eine Angst- oder Schwierigkeits-Rangliste der zwangsauslösenden Situationen erstellt.
  3. Nach dieser Selbstbeobachtungsphase wird der*die Therapeut*in die Betroffenen darin unterstützen, sich den Situationen, die üblicherweise zu Zwangsverhalten führen, zu stellen. Mit Hilfe des*r Therapeut*in wird gelernt, diese Situationen zu bewältigen, ohne auf das Zwangsverhalten zurückzugreifen. In der Fachsprache wird diese Methode als "Exposition mit Reaktionsmanagement" bezeichnet. Exposition mit Reaktionsmanagement ist die effektivste Methode zur Behandlung von Zwangsstörungen. Ziel dieser Expositionen ist es, sich den angst- und zwangsauslösenden Situationen direkt und willentlich auszusetzen und die aufkommende Angst und Unruhe zu bewältigen, ohne das Zwangsverhalten auszuführen. In ähnlicher Weise wird bei der Behandlung von Zwangsgedanken vorgegangen: Auch hier ist das Ziel, sich mit den angstauslösenden Zwangsgedanken (beispielsweise dem Gedanken, einem anderen Menschen etwas antun zu können) zu konfrontieren und die Erfahrung zu machen, dass diese Gedanken ungefährlich sind. Selbstverständlich wird ein*e Therapeut*in nicht einfach "mit der Tür ins Haus fallen", sondern die Expositionen mit dem*r Patient*in sehr sorgfältig vorbereiten. Der*die Patient*in ist also jederzeit über das genaue Vorgehen und den genauen Sinn einer Übung informiert. Die Übungen finden dann auch in seinem*ihrem individuellen Tempo statt. Wichtig ist, sich auch außerhalb der Therapiestunden mit den Konfrontationsübungen zu befassen (etwa im Rahmen von "Übungen in Eigenregie"), welche dann in den Therapiestunden detailliert vor- und nachbesprochen werden. Je öfter die Übungen durchgeführt werden, desto leichter werden sie fallen.→ Entscheidend ist häufiges "Üben" (auch zu Hause).
  4. Die Betroffenen werden zudem im Verlauf der Therapie lernen, die Zwänge als "Warnsignal" einer erneuten erhöhten Belastung zu verstehen und zu nutzen. Eine erneute Verstärkung der Zwänge kann ein guter Indikator für die aktuelle Lebensführung sein.
  5. In einem zweiten Behandlungsstrang werden die Hintergründe der Zwangsstörung stärker in den Fokus gerückt. Hier gilt es, persönliche Lebenserfahrungen und deren Bezug zur Zwangsstörung herauszuarbeiten und zu vertiefen. Die biografisch- systemische Verhaltenstherapie ist hier geeignet, heutiges Verhalten und Erleben an alte Verhaltens- und Erlebens"muster" anzubinden und damit erklärbar zu machen. Auch können im Hintergrund stehende ungünstige Glaubenssätze und "Lebensanschauungen" herausgearbeitet werden. Diese Lebensanschauungen können dann gemeinsam auf ihre Gültigkeit und auf die durch sie verursachten "Kosten" überprüft werden. Manchmal macht es auch Sinn, die verschiedenen "intellektuell gewonnenen" Einsichten durch ganz bestimmte Verfahren (Vorstellungsübungen, Körperübungen) "erlebbarer" zu machen.
  6. Möglicherweise stellt es sich hier im Verlauf als zentral heraus, wichtige zwischenmenschliche Kompetenzen (z.B. Konfliktfähigkeit, Abgrenzungsfähigkeitetc.) zu verbessern, um z.B. im Kontakt mit anderen eigene Bedürfnisse besser umsetzen zu lernen. Falls deutlich wird, dass hinter dem Zwang Probleme des Selbstwertes oder Probleme der Wahrnehmung und Bewältigung von Gefühlen stehen, kann in diesen Bereichen weiter gearbeitet werden.

Diese zwei-strangige Therapie nach biografisch-systemischen Gesichtspunkten erfordert von dem*r Betroffenen und dem*r Therapeut*in eine stetige Reflexion des Therapieverlaufes, um möglichen "Stolpersteinen" und "Therapiehindernissen" möglichst frühzeitig begegnen zu können. Daher wird der*die Therapeut*in in regelmäßigen Abständen gemeinsam mit den Patient*innen den jeweils aktuellen Stand der Zielerreichung (Wo stehen wir in Bezug auf die Symptom- und Hintergrundziele?) reflektieren.

Wie sinnvoll ist eine medikamentöse Behandlung?

Bei schweren Zwangssymptomen kann es sinnvoll sein, zusätzlich zu einer Verhaltenstherapie eine medikamentöse Behandlung einzuleiten. Als Medikamente werden sogenannte "Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer" (SSRI) gegeben, ebenso bestimmte trizyklische Antidepressiva, welche in den Stoffwechsel des Gehirnbotenstoffes Serotonin eingreifen. Auch Medikamente, die den Stoffwechsel von Noradrenalin (einem zweiten Botenstoff im Gehirn) beeinflussen, können gute Effekte zeigen. Ähnliche Medikamente werden auch bei Depressionen gegeben (was aber natürlich nicht heißt, dass Betroffene zusätzlich an einer Depression leiden müssen).

Die Wirkung der Medikamente setzt frühestens nach 4-8 Wochen ein und es ist wichtig, die Medikation für mindestens ein Jahr beizubehalten. Durch die Medikation wird eine schrittweise Besserung erreicht,
jedoch kommt es nach Absetzen der Medikamente in einem Großteil der Fälle zu Rückfällen. Wichtig ist also, eine medikamentöse Behandlung mit einer Psychotherapie zu kombinieren, um einen langfristigen Therapieerfolg zu haben. Außerdem können die Medikamente alleine natürlich nicht die Ursache der Probleme lösen. Zwangsgedanken sprechen tendenziell besser auf eine medikamentöse Behandlung an als Zwangshandlungen. Hier kann es Sinn machen, sogenannte "atypische Neuroleptika" in niedriger Dosierung oder Sulpirid zu geben. Bei einer schweren Zwangssymptomatik wird sich der*die Therapeut*in nach Absprache mit dem*r Patient*in an den*die mitbehandelnde*n Facharzt*ärztin wenden und eine kombinierte Behandlung anstreben.